Foto: Henning Schacht

Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek im Interview für den Deutschen Rehatag 2023

Der GesundheitsService AWO, ein Zusammenschluss aller AWO-Träger mit stationären Einrichtungen im Bereich Mutter-/Vater-Kind Vorsorge und Rehabilitation, ist seit Anfang des Jahres Mitglied des Initiatorenkreises des Bündnis für Reha (Deutscher Reha-Tag). Das diesjährige Jahresmotto 2023 „Reha stärkt Familien“ haben wir zum Anlass genommen, Herrn Staatsminister Holetschek, der in den vergangenen Jahren immer ein großer Unterstützer in allen Themen rund um die Vorsorge- und Rehabilitation, im Speziellen auch für unsere Einrichtungen in Bayern für Mütter/Väter und Kinder, war, um ein Interview zu bitten.

Familien waren gerade in der Corona-Krise extrem gefordert. Wie steht es um die Familie in Deutschland und wo sehen Sie in der Folge aus Ihrer Sicht besonderen Handlungsbedarf und Möglichkeiten die Gesundheit von Familien zu stabilisieren und zu stärken?

Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek:
Familien sind das Rückgrat unserer Gesellschaft! Das gesunde Aufwachsen von Kindern ist ein zentrales Anliegen bayerischer Gesundheitspolitik und im Bayerischen Präventionsplan verankert. Mittlerweile schon vor zwei Jahren hat die Gesundheitsministerkonferenz (GMK) unter dem Vorsitz Bayerns die Bundesregierung aufgefordert, eine Enquete-Kommission ‚Kindergesundheit in Pandemiezeiten‘ einzurichten, um die physischen und psychischen Folgen der Corona-Pandemie für Kinder und Jugendliche in ganz Deutschland zu ermitteln und wirksame Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Dies ist bis heute nicht geschehen. Es wurde Anfang 2023 ein Bericht der Interministeriellen Arbeitsgruppe (IMA) veröffentlicht. Der Bericht ist ein Anfang, aber weder ausreichend noch den Bedürfnissen unserer Kinder und Jugendlichen angemessen. Mit einer Vielzahl von Projekten, die im Rahmen unserer Initiative ‚Gesund.Leben.Bayern‘ gefördert werden, setzen wir uns für eine gesundheitsförderliche Lebensweise innerhalb von Familien ein. Wir müssen aber auch das seelische Wohl von Kindern und Jugendlichen noch stärker in den Blick nehmen, das hat nicht erst die Corona-Pandemie deutlich gemacht. 

Vorsorge- und Reha wird immer wichtiger und wertvoller und wir sehen die dringende Notwendigkeit, politisch zu handeln. Es braucht auskömmliche Finanzierungen für die Kliniken und Einrichtungen, damit die wertvollen Angebote erhalten bleiben. Wie kann man das Zusammenspiel der beteiligten Akteure verbessern und wird dem enormen Bedarf gerecht?

Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek:
Die Reha-Einrichtungen spielen die zentrale Rolle bei der gesellschaftlichen Herausforderung, Menschen so lange wie möglich gesund zu halten. In einer immer älter werdenden Gesellschaft wird Rehabilitation immer wichtiger, da Volkskrankheiten wie Rückenleiden oder psychische Erkrankungen zunehmen. Rehabilitation muss daher als vierte Säule im Gesundheitssystem auf Augenhöhe mit Prävention und akuter ambulanter und stationärer Versorgung stehen. Die medizinische Rehabilitation kann Pflegebedürftigkeit verhindern! Der Gesetzgeber hat ganz folgerichtig den Grundsatz ‚Reha vor Pflege‘ festgelegt! Bereits als Vorsitzender des Bayerischen Heilbäder-Verbandes habe ich mich deshalb auch auf Bundesebene für die Belange der Reha-Einrichtungen und ihrer Beschäftigten eingesetzt.Die Rehaklinikenstehen, wie viele andere Bereiche, vor der Herausforderung, auf Dauer genügend Pflegepersonal und geeignete Fachkräfte zu finden. Hier müssen wir dringend weiter gegensteuern. Bayern geht im Bereich der Pflegeausbildung schon voran und ermöglicht zumindest Reha-Einrichtungen mit der Schwerpunktsetzung in Pädiatrie oder Psychiatrie die Mitwirkung als weiterer spezieller Pflichteinsatzort in der psychiatrischen oder pädiatrischen Versorgung mit einem Stundenumfang von 120 Stunden. So haben auch Reha-Einrichtungen die Möglichkeit, sich bei späteren Absolventen als attraktiver beruflicher Einsatzort vorzustellen.
Bayern unterstützt Reha-Einrichtungen und Leistungserbringer aus den verschiedenen Bereichen der ambulanten Versorgung aber auch finanziell. So haben wir dieses Jahr für Reha- und Vorsorge-Einrichtungen, Krankenhäuser und Bereiche der ambulanten Pflege- Unterstützungsangebote rund 160 Millionen Euro an eigenen Härtefallhilfen auf den Weg gebracht. Die Einrichtungen sind von massiv gestiegenen Kosten, etwa bei der Energie, und der Inflation betroffen, die nicht refinanziert sind. Bayern nimmt deshalb ergänzend zur Bundesregierung viel Geld in die Hand, um diese teils existenzbedrohende Entwicklung abzufedern. Für die stationären bayerischen Reha- und Vorsorge-Einrichtungen, die gesetzlich Versicherte versorgen, stehen 30 Millionen Euro bereit. Wir setzen auch hier auf einen möglichst unbürokratischen Ausgleich für Härtefälle, der pauschal nach Bettenzahl erfolgt. Pro Bett können 1.000 Euro erstattet werden. Anträge können noch bis zum 30.09.2023 an das Bayerische Landesamt für Pflege (LfP) gerichtet werden.
Eine der Lehren aus der Pandemie ist: Wir brauchen eine zukunfts- und leistungsfähige Reha. Angesichts einer alternden Bevölkerung und neuen Herausforderungen wie der Versorgung von Long- und Post-COVID-Patienten brauchen wir sie sogar mehr denn je. Die Belastungen der Familien durch die Pandemie führen auch zu mehr Bedarf an Mutter-Vater-Kind-Maßnahmen. Bayern hat vergangenes Jahr auf meinen Vorschlag hin eine Bundesratsentschließung zur Sicherung der Liquidität von Reha- und Vorsorgeeinrichtungen sowie von Krankenhäusern, medizinischen Einrichtungen und Pflegeeinrichtungen initiiert. Bayern ist Reha-Land Nr. 1 und soll es auch zukünftig bleiben. Dafür werde ich mich auch weiterhin auf allen Ebenen einsetzen.“

„Pflege“ löst bei den Menschen große Ängste aus und ist für Sie ein wichtiges Thema. Welche Instrumente eignen sich, um eine bessere Verknüpfung der beruflichen Pflichten und Pflegeaufgaben zu ermöglichen und pflegende Angehörige respektive Familien zu entlasten? 

Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek:
Die pflegenden Angehörigen sind eine tragende Säule der Pflege in Deutschland. Allein in Bayern werden über 80 Prozent der Pflegebedürftigen aller Pflegegrade zu Hause, meist von Angehörigen, versorgt. Es ist mir ein Herzensanliegen, pflegende Angehörige verstärkt zu unterstützen. Denn sie leisten immens viel und sind dabei einer hohen physischen wie psychischen Belastung ausgesetzt. Um pflegenden Angehörigen gelegentlich eine Auszeit zu ermöglichen, haben wir die Zahl der Kurzzeitpflegeplätze in Bayern in den vergangenen Jahren deutlich ausgebaut. Mit unserem erfolgreichen Förderprogramm ‚PflegeSoNah‘ haben wir seit 2020 bereits mehr als 4.000 Pflegeplätze mit beinahe 200 Millionen Euro gefördert, davon 215 Kurzzeitpflegeplätze, allein 155 im vergangenen Jahr. In den kommenden fünf Jahren wollen wir die Zahl der geförderten Pflegeplätze verdoppeln und insgesamt 8.000 neue Pflegeplätze und auch wieder zusätzliche Kurzzeitpflegeplätze fördern.Außerdem unterstützt Bayern mit seinem Landespflegegeld mit 1.000 Euro jährlich circa 420.000 pflegebedürftige Menschen im Freistaat. Seit 2018 hat das LfP das Landespflegegeld rund 1,9 Millionen Mal ausgezahlt. Dieses Geld können Pflegebedürftige auch Angehörigen und anderen Menschen, die sie bei der Bewältigung ihres schwierigen Alltags unterstützen, als eine finanzielle Anerkennung zukommen lassen. Darüber hinaus gibt es bayernweit aktuell über 2.160 anerkannte Angebote zur Unterstützung im Alltag, über 710 davon werden von uns gefördert (Stand: 30.06.2023). Psychosoziale Beratung und begleitende Unterstützung bekommen die pflegenden Angehörigen auch in den über 100 geförderten Fachstellen für pflegende Angehörige. Diese arbeiten eng mit den mittlerweile 50 Pflegestützpunkten im Freistaat zusammen, die ebenfalls eine umfassende Hilfestellung geben. 
Klar ist aber: Die Bundesregierung muss die pflegenden Angehörigen endlich angemessen unterstützen. Bei der jetzt im Bundestag verabschiedeten Pflegereform hat Bundesgesundheitsminister Lauterbach diese Notwendigkeit leider vertan und die pflegenden Angehörigen enttäuscht. Denn das wichtige Entlastungsbudget für die häusliche Pflege kommt mit 2025 viel zu spät! Außerdem ist es widersprüchlich, dass bei der Gegenfinanzierung beim Entlastungspaket insbesondere die ambulant versorgten Menschen verzichten müssen. Gerade die häusliche Pflege muss gestärkt werden. Der Bundesgesundheitsminister muss die Pflege durch Angehörige und ambulante Dienste zeitnah besserstellen. Ich fordere schon lange eine Dynamisierung des Pflegegeldes und der ambulanten Sachleistungsbeträge. Wir brauchen einen Steuerzuschuss zur Pflegeversicherung – jedenfalls in Höhe der ‚versicherungsfremden Leistungen‘ wie etwa der Rentenversicherungsbeiträge der Pflegekassen für pflegende Angehörige. Zudem muss der Bund endlich ein steuerfinanziertes Pflegezeitgeld für pflegende Angehörige einführen, um diese zumindest für einen bestimmten Zeitraum finanziell zu entlasten. Neben der finanziellen Honorierung der Pflege durch Angehörige setzt sich Bayern auch für die Bereitstellung von Case Management-Angeboten in der ambulanten Pflege ein, wenn dies zur Sicherstellung der Pflege erforderlich ist. Dabei unterstützen professionelle Prozessbegleiter die Organisation und das Management der ambulanten Pflege durch pflegende Angehörige und entlasten diese. Hierzu ist auf Initiative Bayern sein Prüfauftrag der Arbeits- und Sozialministerkonferenz an den Bund ergangen, gemeinsam mit den Ländern in einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe zu prüfen, wie dies in den Versorgungsstrukturen verankert werden könnte. Dabei soll z. B. auch die Möglichkeit geprüft werden, dies in kommunale Strukturen im Sinne einer Pflege vor Ort zu integrieren. Es gibt also noch viel zu tun. Deshalb wird sich Bayern auch weiterhin für die Weiterentwicklung der Pflegeversicherung stark machen, um Verbesserungen in der Pflege zu erreichen. 

Steigende Lebenshaltungskosten und soziale Ungerechtigkeiten sind wohl momentan mit Abstand die größten Sorgen der Deutschen. Sie kandidieren im Oktober erneut mit dem Ziel, die Lebenssituationen der Bürgerinnen und Bürger in diesen herausfordernden Zeiten weiter zu verbessern. Welche Themen stehen für Sie konkret im Fokus? 

Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek:

In Bayern lässt es sich gut und sicher leben. Wir haben zum Beispiel die niedrigste Arbeitslosenquote in Deutschland und sind eine der wirtschaftsstärksten Regionen Europas.Wir sind das einzige Bundesland, in dem es ein Familien- und ein Pflegegeld gibt. Ziel ist immer, dass alle Menschen in Bayern auch künftig gut leben können – und auch weiterhin gerne hier wohnen wollen. 
Für mich als Gesundheits- und Pflegeminister ist natürlich besonders wichtig, dass die Menschen in Bayern eine flächendeckende, wohnortnahe und qualitativ hochwertige medizinische und pflegerische Versorgung haben. Dazu zählt für mich der Erhalt und die Weiterentwicklung unserer Krankenhäuser – gerade im ländlichen Raum. Schon jetzt investiert Bayern, im Vergleich zu den anderen Flächenländern, am meisten in seine Krankenhäuser. In den kommenden Jahren wollen wir eine deutliche Steigerung der Investitionskostenförderung für bayerische Kliniken auf eine Milliarde Euro pro Jahr. 
Um eine hochwertige fach- und hausärztliche Versorgung auch in Zukunft zu gewährleisten, brauchen wir insbesondere mehr junge Medizinerinnen und Mediziner, die sich für den Arztberuf begeistern und dorthin gehen, wo sie besonders gebraucht werden, etwa als Hausärztinnen und Hausärzte auf dem Land. Dafür setzen wir uns seit Jahren ein, und daran will ich auch festhalten. Unser Stipendienprogramm für Medizinstudierende, die Landarztquote und auch die Landarztprämie sind dabei wichtige Instrumente. Durch unsere Niederlassungsförderung, die 2021 in die bürokratieärmere Landarztprämie umgewandelt wurde, haben wir seit 2012 bereits über 1.100 Ärztinnen und Ärzte neu aufs Land gebracht – davon über 340 Fachärztinnen und -ärzte. Über die Landarztquote studieren aktuell insgesamt fast 330 Studentinnen und Studenten und durch das Stipendienprogramm für Medizinstudierende werden mittlerweile rund 300 Medizinstudierende unterstützt. 
Darüber hinaus ist es mir wichtig, dass pflegebedürftige Menschen möglichst nahe an ihrem bisherigen Lebensmittelpunkt bleiben können. Dafür brauchen wir Pflegeangebote, die sich den Menschen und ihren Bedürfnissen anpassen. Individuelle Angebote sind dabei eine tragende Säule unserer pflegerischen Versorgungsstruktur, die wir mit unserem Förderprogramm ‚PflegesoNah' konsequent weiter ausbauen werden. Und wir brauchen mehr qualifizierte Fachkräfte im Pflegebereich. Hier will ich gemeinsam mit den Eirichtungen die neuen Ansätze wie Springerkonzepte weiter vorantreiben.
 

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